Nachhaltigkeit trifft auf Wettbewerb

Die neuen Horizontal-Leitlinien der Europäischen Union markieren einen Wendepunkt in der Wettbewerbspolitik, insbesondere in Bezug auf Nachhaltigkeitsvereinbarungen. Diese und weitere Änderungen spiegeln ein wachsendes Bewusstsein dafür wider, dass wirtschaftlicher Wettbewerb nicht zu Lasten unserer Umwelt oder sozialen Verantwortung gehen darf.

In unserem Blogartikel nehmen wir Sie mit auf den Weg durch die neuen Horizontal-Leitlinien, wir erläutern, was sich ändert und steigen tiefer in die Einführung des neuen Kapitels zu Nachhaltigkeitsvereinbarungen ein.

Was sind Horizontal-Leitlinien – und was hat das mit Wettbewerb zu tun?

Horizontal-Leitlinien sind Richtlinien der Europäischen Union, die festlegen, wie Unternehmen auf derselben Marktstufe zusammenarbeiten dürfen, ohne gegen das Wettbewerbsrecht zu verstoßen. Sie betreffen Kooperationen zwischen direkten Konkurrenten, sogenannte horizontale Vereinbarungen, und beinhalten Regelungen zu gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsprojekten, Produktionsabkommen, Einkaufsgemeinschaften und Standardisierungsvereinbarungen.

Diese Leitlinien sind entscheidend für den Wettbewerb, da sie einerseits kooperative Ansätze ermöglichen, die Innovation und Effizienz steigern können, andererseits aber auch Kollusion und wettbewerbswidriges Verhalten verhindern sollen.

Warum gibt es neue Horizontal-Leitlinien?

Die neuen Horizontal-Leitlinien wurden als Reaktion auf die sich wandelnde Wirtschaftslandschaft und die fortschreitende Digitalisierung eingeführt. Sie tragen aktuellen Entwicklungen Rechnung, wie der zunehmenden Bedeutung von Daten, der Notwendigkeit einer nachhaltigen Wirtschaftsführung und dem Aufkommen neuer Geschäftsmodelle.

Die Überarbeitung zielt darauf ab, die Regeln für Kooperationen zwischen Unternehmen zu aktualisieren, um Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu fördern, gleichzeitig, aber faire Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten. Insbesondere sollen sie den Unternehmen mehr Klarheit und Rechtssicherheit bieten und damit das Wettbewerbsrecht der EU an die heutigen Marktanforderungen anpassen. Diese Anpassungen ermöglichen es Unternehmen, effektiver und verantwortungsbewusster im Rahmen des EU-Binnenmarktes zu agieren. Die neuen Horizontal-Leitlinien sind am 1. Juli 2023 in Kraft getreten und sind für 12 Jahre gültig.

Was sind die aktuellen Regelungen zur Bewertung horizontaler Kooperationsvereinbarungen im Rahmen des EU-Wettbewerbsrechts?

Die neuen Regelungen umfassen die Horizontal-GVO sowie die Horizontal-Leitlinien. Die Horizontal-GVO (Gruppenfreistellungsverordnungen) bieten eine Ausnahme von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) für bestimmte Vereinbarungen in Forschung und Entwicklung (FuE) sowie Spezialisierungsvereinbarungen.

Die Horizontal-Leitlinien wiederum bieten detaillierte Anweisungen für die Anwendung dieser Horizontal-GVO und geben Orientierung bei der Beurteilung verschiedener gängiger Kooperationsformen, einschließlich Informationsaustausch und Vereinbarungen in Bereichen wie FuE, Produktion, gemeinsamer Einkauf, Vermarktung sowie bei Normungs- und Standardisierungsprozessen.

Ein besonderes Merkmal der überarbeiteten Horizontal-Leitlinien ist die Einführung des neuen Kapitels (Kapitel 9 Sustainability Agreements), welches sich auf die Prüfung von Nachhaltigkeitsvereinbarungen konzentriert.

Artikel 101 AEUV – Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs

Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) befasst sich mit Wettbewerbsregelungen, insbesondere mit dem Verbot von Kartellen und anderen Vereinbarungen, die den Handel zwischen EU-Mitgliedstaaten beeinträchtigen können. Im Kern verbietet er alle Arten von Absprachen zwischen Unternehmen, die den freien Wettbewerb innerhalb des EU-Binnenmarktes stören könnten.

Dies umfasst direkte oder indirekte Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bewirken. Hierunter fallen beispielsweise Preisabsprachen, die Aufteilung von Märkten oder Versorgungsquellen und Einschränkungen in der Produktion oder technischen Entwicklung.

Artikel 101 AEUV sieht jedoch Ausnahmen vor, wenn bestimmte Vereinbarungen den Verbrauchern zugutekommen, etwa durch Förderung von technischem oder wirtschaftlichem Fortschritt. Solche Vereinbarungen dürfen aber keine Einschränkungen enthalten, die für die Erreichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, und sie dürfen den Wettbewerb nicht in einem Maße ausschalten, das dem Nutzen für den Verbraucher entgegensteht.

Nachhaltigkeitsvereinbarungen – das neue Kapitel in den Horizontal-Leitlinien

Das neue Kapitel über Nachhaltigkeitsvereinbarungen in den Horizontal-Leitlinien stellt für Unternehmen in der EU einen bedeutenden Schritt in Richtung grünerer Geschäftspraktiken dar. Es erkennt offiziell an, dass Kooperationen zwischen Unternehmen nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern auch aus ökologischer und sozialer Sicht vorteilhaft sein können. Konkret bedeutet dies:

1. Förderung von Nachhaltigkeit: Unternehmen werden ermutigt, zusammenzuarbeiten, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, etwa durch gemeinsame Innovationen in umweltfreundliche Technologien oder durch die Implementierung nachhaltiger Produktionsprozesse.

2. Rechtssicherheit: Das Kapitel gibt klare Richtlinien vor, wie Unternehmen Nachhaltigkeitsziele verfolgen können, ohne kartellrechtliche Regeln zu verletzen. Dies bietet ihnen eine sicherere Grundlage für Kooperationen, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind.

3. Wettbewerbsvorteile: Nachhaltige Kooperationen können den Markenwert steigern und die Kundenbindung verbessern, da Verbraucher zunehmend Wert auf Umweltbewusstsein und soziale Verantwortung legen.

4. Innovationstreiber: Durch die gemeinsame Entwicklung und Nutzung von nachhaltigen Technologien können Unternehmen Innovationen schneller vorantreiben und die damit verbundenen Kosten teilen.

5. Globale Standards setzen: EU-Unternehmen könnten durch nachhaltige Kooperationen weltweit Standards setzen und somit einen Wettbewerbsvorteil erlangen.

Für Unternehmen in der EU bedeutet dies, dass sie nachhaltige Praktiken nicht nur als ethische Entscheidung, sondern auch als wirtschaftliche Strategie verstehen und integrieren sollten.

Was sind Nachhaltigkeitsvereinbarungen?

Nach den Horizontal-Leitlinien der Europäischen Union sind Nachhaltigkeitsvereinbarungen alle horizontalen Kooperationen zwischen Unternehmen, die darauf abzielen, Umwelt- oder Sozialstandards zu verbessern und nachhaltige Praktiken zu fördern.

Solche Vereinbarungen können beispielsweise die gemeinsame Entwicklung umweltfreundlicher Technologien, die Durchführung von Recyclingprogrammen oder die Implementierung nachhaltiger Lieferketten umfassen. Ebenso wie Vereinbarungen mit Hinblick auf soziale Verantwortung, Wahrung der Menschenrechte oder Verhinderung von Lebensmittelverschwendung.

Auf welche Weise werden Nachhaltigkeitsvereinbarungen überprüft?

Im Abschnitt zu Nachhaltigkeitsvereinbarungen der Horizontal-Leitlinien wird Unternehmen eine Orientierungshilfe zur Selbstbewertung gegeben, wie ihre gemeinschaftlichen Bemühungen um Nachhaltigkeit im Einklang mit den kartellrechtlichen Bestimmungen stehen können:

1. Werden durch die Vereinbarung Wettbewerbsparameter beeinträchtigt?

Das Kapitel führt Beispiele an, bei denen Absprachen zwischen Wettbewerbern nicht gegen Artikel 101 Absatz 1 des AEUV verstoßen, da sie den Wettbewerb nicht beeinträchtigen – wie zum Beispiel interne Verhaltenskodizes oder Aufklärungskampagnen.

2. Dienen die Absprachen primär den Nachhaltigkeitszielen?

Versuchen die Unternehmen mit den Vereinbarungen keine ernsthaften Wettbewerbsbeschränkungen zu verschleiern, gelten diese normalerweise nicht als beabsichtigte Einschränkungen. Stattdessen muss ihre tatsächliche Wirkung auf den Markt bewertet werden.

3. Zielt die horizontale Zusammenarbeit auf einen Nachhaltigkeitsstandard ab?

Erfüllt die horizontale Zusammenarbeit sechs kumulative Bedingungen und wird durch diese ein Nachhaltigkeitsstandard festgelegt, sind sie besonders schutzwürdig. Dabei wird davon ausgegangen, dass:

a. Normungsabsprachen eine verbreitete Kooperationsform zwischen Wettbewerbern zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen darstellen und oft neutrale oder positive Effekte auf den Wettbewerb haben;

b. Nachhaltigkeitsstandards sich von typischen technischen Standards abheben, die im Kapitel zur Normung in den Horizontal-Leitlinien behandelt werden.

Des Weiteren bieten die 2004 in Kraft getretenen Leitlinien zur Auslegung von Artikel 101 Absatz 3 AEUV detaillierte Anweisungen zur Bewertung von Nachhaltigkeitsvorteilen sowie zu den vier zusammenhängenden Bedingungen, die für eine Ausnahme gemäß Artikel 101 Absatz 3 AEUV erfüllt sein müssen.

Müssen Unternehmen ihre Kooperationen jetzt anders gestalten?

Ja, Unternehmen sollten ihre bestehenden und geplanten Kooperationen überprüfen und gegebenenfalls anpassen, um Konformität mit den neuen Horizontal-Leitlinien zu gewährleisten und das Risiko von Rechtsverletzungen zu minimieren. Vereinbarungen, welche die neuen Horizontal-Leitlinien nicht erfüllen, jedoch die früheren Horizontal-Leitlinien, haben eine 2-jährige Übergangsfrist.

Downloads:

Horizontal-Leitlinien

GVO für F&E

Spezialisierungsvereinbarungen

Weiterführende Links:

Europäische Kommission – Kartellrecht

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