Mehrfachbeauftragte müssen nachweislich für Ihre Aufgaben ausreichend Zeit und Ressourcen haben. Von Haus aus besteht bei ihnen die Gefahr, dass sie sich nicht ausreichend auf ein Problem fokussieren können – anders formuliert birgt jede Mehrfachbeauftragung das Risiko eines Organisationsverschuldens in sich. Das Risiko ist als besonders hoch anzusehen, wenn sich die Beauftragungen über die Bereiche Umwelt, Sicherheit und Energie erstrecken, d.h. thematisch nicht verwandt sind. Mehrere Beauftragungen mit thematisch zusammenhängenden Themen, wie z.B. Abfall und Gefahrgut, können natürlich durchaus sinnvoll sein.

In der Praxis kommen sie nicht selten vor, die „Helden der Arbeit“, die super qualifizierten EHS-Führungskräfte. Fachkraft für Arbeitssicherheit zu sein, genügt diesen Helden nicht, gerne nehmen sie sich noch weitere Themen an (oder können nicht „Nein“ sagen, wenn der Chef ihnen – mangels Alternativen – schmeichelt und fragt, ob nicht das eine oder andere „kleine“ Umwelt-Thema mit übernommen werden kann. Wenn es sein muss, gibt es dafür auch einen neuen hübschen Jobtitel und ja, ein bisschen mehr Urlaubsgeld gibt es vielleicht auch für die wirklich sehr geringe Mehrarbeit).

In einem Fall war es einem Auditor zu viel. Für einen mittelständischen Automobilzulieferer ist an einem Standort ein Mitarbeiter als alleinige Fachkraft für Arbeitssicherheit, Abfallbeauftragter, Elektrofachkraft und als Qualitätsmanagementbeauftragter (ISO 9001) bestellt. Die Auditierung konzentrierte sich schnell auf die Prüfung, ob der Mehrfachbeauftragte seinen Aufgaben gerecht werden kann. Sind folgende Bedingungen ausreichend gegeben?

  • Qualifizierung des Mitarbeiters einschließlich der persönlichen Eignung (zuverlässig, erfahren, gewillt/motiviert)
  • Zeit, die jeweilig unterschiedlichen Problemstellungen zu bewerkstelligen
  • Werkzeuge/Hilfsmittel (Software, aktuelle Wissensgrundlagen etc.)
  • personelle Unterstützung bzw. Zuarbeit zumindest durch die zu betreuenden Abteilungen
  • schriftliche Beauftragung durch den Arbeitgeber.

Als kritisch erwies sich vor allem der Punkt Zeit. Um belegen zu können, ob genügend Zeit für die Erfüllung der zahlreichen Aufgaben zur Verfügung steht, muss jeder Arbeitgeber gemäß der in seiner Branche geltenden DGUV Vorschrift 2 zunächst wissen, wie hoch die vorgeschriebenen Einsatzzeiten der Grundbetreuung und der betriebsspezifischen Betreuung durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit sind. Der Umfang der erforderlichen Gesamtbetreuung konnte allerdings nicht dargelegt werden.

Zur Ermittlung der Grundbetreuung sind die Anzahl der Mitarbeiter am Standort und deren Tätigkeit relevant. Je nach Tätigkeit (siehe Bild) fällt der Betrieb in eine von drei Gruppen (Gruppe I mit 2,5 Stunden Einsatzzeit pro Jahr pro Beschäftigtem, Gruppe II 1,5 Stunden, Gruppe III 0,5 Stunden).

Der auditierte Betrieb fällt in Gruppe II. Da dort ca. 800 Mitarbeiter tätig sind, beträgt der Umfang der Grundbetreuung 1.200 Stunden pro Jahr. Die DGUV Vorschrift 2 zeigt dabei auch auf, welche Aufgaben in die Grundbetreuung fallen.

Mittels einer speziellen Gefährdungsbeurteilung muss jedes Unternehmen ermitteln, ob eine betriebsspezifische Betreuung erforderlich ist und wie hoch diese sein muss. Eine Vorlage für eine solche Beurteilung ist ebenso in der DGUV Vorschrift 2 abgebildet. Aufgrund der Tätigkeiten der Mitarbeiter ist im Falle des Automobilzulieferers davon auszugehen, dass eine spezifische Betreuung notwendig ist – der Umfang ist konkret zu prüfen (Abweichung).

Gehen wir konservativ davon aus, dass die betriebsspezifische Betreuung einen Zeitumfang von 2,5 Tagen pro Monat ausmacht, würde die Beauftragung als Fachkraft für Arbeitssicherheit insgesamt 1.440 Stunden pro Jahr (ca. 143 Arbeitstage) in Anspruch nehmen. Wenn wir ferner davon ausgehen, dass der Beauftragte 1.600 Stunden im Jahr produktiv sein kann, bleiben ihm 160 Stunden (20 Arbeitstage) für seine anderen Beauftragungen.

Der Auditor vermerkte ein Organisationsverschulden als Abweichung. Der Arbeitgeber ist seiner Organisationspflicht nicht ausreichend nachgegangen. Wer delegiert, muss auch dafür Sorge tragen, dass es dem Empfänger überhaupt möglich ist, seine Aufgaben zu erfüllen. Der „Superhelden“-Beauftragte hingegen sollte Aufgaben nur annehmen, wenn er dadurch nicht überfordert wird. Er muss auch gegenüber seinem Chef „Nein“ sagen können. Das z. B. ein krankheitsbedingter Ausfall von wichtigen Mitarbeitern ebenso berücksichtigt werden sollte, ergänzte er als Hinweis.

Außerdem hinterfragte der mutige Auditor einen weiteren Eindruck: „Sie sind in ihrer Funktion der Qualitätsabteilung untergeordnet. Grundsätzlich ist ihr Unternehmen sehr erfolgreich am Markt, dass heißt ihr Unternehmen beweist eigentlich, dass es sich sehr gut organisieren kann. Wie stark ist das Commitment ihrer obersten Führungsebene zu den Themen Sicherheit und Umweltschutz?“

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